Implizites Mitarbeiterwissen

Wissen in Organisationen

Wissen in Organisationen lässt sich den Kategorien implizit und explizit zuordnen. Das explizite Wissen kann als kodiertes und artikuliertes Wissen, das in Form von z.B. Notizen, Dokumenten und Anleitungen vorliegt, beschrieben werden. In dieser explizierten Form lässt es sich im Unternehmen schnell und problemlos an eine große Anzahl von Beschäftigten verteilen. Man geht jedoch davon aus, dass nur ca. 10 % des unternehmensrelevanten Wissens in explizierter Form vorliegen (vgl. Wah, 1999).

Implizites Wissen

Der überwiegende Anteil des Wissens im Unternehmen besteht hingegen aus „implizitem Wissen“ (engl. „tacit knowledge“), das oft auch als „Erfahrungswissen“ bezeichnet wird. Implizites Wissen entsteht durch persönliche Erfahrungen, die über einen längeren Zeitraum gemacht werden. Es hat subjektiven Charakter und ist ausschließlich im Kopf des jeweiligen Mitarbeitenden gespeichert. Implizites Wissen lässt sich als Erfahrungsschatz und Intuition begreifen, auf die wir uns im täglichen Handeln mit Erfolg verlassen können. Generell kann implizites Wissen gar nicht oder nur unvollständig in Worte gefasst werden: „Wir wissen mehr als wir ausdrücken können.“ Individuelles implizites Wissen wird in Handlungsabläufen sichtbar: Eine Person handelt kompetent, ruft sich während des Handelns aber keine Handlungsregeln in Erinnerung, sondern agiert „automatisch“, „spontan“ oder „intuitiv“.

Folgendes Beispiel (vgl. Jones/Leonard, 2009) verdeutlicht den Unterschied zwischen explizitem und implizitem Wissen:

Das Wissen darüber, wie ein Angebot bei eBay erstellt wird, ist ein Beispiel für explizites Wissen. Dieses Wissen lässt sich leicht in schriftliche Information umwandeln. So enthält der Hilfebereich der eBay-Website eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Thema „Angebot erstellen“. Im Gegensatz dazu finden sich keinerlei Informationen dazu, wann der richtige Moment ist, um auf eBay ein Gebot zu erhöhen oder wie hoch das Gebot sein sollte, damit die bietende Person den Zuschlag bekommt. Dieses Wissen entsteht durch individuelle -Erfahrungen bei der Nutzung.

 

Implizites Wissen im Unternehmen

Das im Kopf des Mitarbeitenden gespeicherte implizite Wissen hilft bei der Bewältigung von Unplanbarkeiten in der Arbeit und äußert sich im Erahnen von Störungen oder als richtiges Gespür bei Problemlösungen oder intuitiven Entscheidungen. Gerade im Umgang mit anderen Menschen - Kolleg/innen, Vorgesetzten, Kundschaft oder Lieferanten - ergibt sich viel implizites Wissen, das sich im sprichwörtlichen „Fingerspitzengefühl“ ausdrückt. Durch den langjährigen Umgang mit komplexen und Kreativität erfordernden Aufgaben ergibt sich ein großer impliziter Wissensspeicher, der jedoch nur selten Fällen (mit)geteilt wird. Häufig ist dies auch nicht so einfach möglich, denn die Mitarbeitenden wenden ihr Wissen im Arbeitskontext an, ohne genau zu reflektieren, auf welcher Wissensgrundlage sie in einer bestimmten Situation handeln. Die Mitarbeitenden handeln in solchen Momenten automatisch, spontan und intuitiv; ohne sich genau über dieses Wissen bewusst zu sein. Daher sind diese Wissensanteile nicht immer auf einfache Weise aufzudecken und anderen mitzuteilen.

Beispiele für Tätigkeiten, die typischerweise hohe implizite Wissensanteile aufweisen:

  • Konzeptionelles, planerisches, kreatives Arbeiten
  • Entwicklung neuer Lösungen
  • Management komplexer Abläufe und nicht-standardisierter Prozesse
  • Aufbau und Pflege von Kundenbeziehungen
  • Einschätzung der Verhaltensweisen von Kundschaft und Kolleg/innen sowie Vorgesetzten

Ein Großteil des impliziten Wissens lässt sich durch Explizierung (Beschreibung und Dokumentation) oder Demonstration (Vormachen) übertragen. Daher gibt es Methoden, die die Mitarbeitenden unterstützen, ihre eigene Arbeit zu reflektieren und sich impliziter Wissensanteile bewusst zu werden und auf sozialem Austausch basierende Methoden, welche die Übertragung des Wissens von einer auf die andere Person ermöglichen (siehe Methoden).

Forschungen bestätigen das Gewicht impliziten Wissens in Unternehmen:

  • Nur 2% der Informationen werden verschriftlicht, der Rest ist in den Köpfen der Mitarbeitenden (vgl. Hurley/Green, 2005)
  • 90% des Wissens in der Organisation sind implizit gebunden (vgl. Wah, 1999)
  • Führungskräfte erhalten zwei Drittel ihrer Informationen durch persönliche Gespräche oder Telefonate (vgl. Davenport/Prusak, 2005)
  • Für das Suchen nach Informationen wird schätzungsweise mehr als 30% der Arbeitszeit verwendet (vgl. CEN, 2004)

In Zeiten von demografischem Wandel, Fachkräftemangel und steigendem Stellenwert von Wissen als entscheidendem Wettbewerbsfaktor kann es für Unternehmen einen erheblichen Vorteil bedeuten, wenn implizites Wissen von erfahrenen Mitarbeitern weitgehend transferiert und gesichert wird, um im Fall von Abgängen vor Wissens- und Know-how-Verlust geschützt zu sein.  

Relevanz für KMU

Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ist die Wissenssicherung relevant:

  • Aufgrund ihrer häufig starken Spezialisierung ist es für sie essenziell, ihren Kompetenzvorsprung im Wettbewerb zu halten
  • Vor allem in KMU wird kurzfristig geplant und wenig dokumentiert
  • Allgemein sind KMU stärker von den Fähigkeiten und Kenntnissen einzelner Mitarbeiter abhängig als Großunternehmen. Wertvolle Erfahrungen, Fachkenntnisse und Kundenwissen sind oft in den Köpfen von wenigen Experten verankert.
  • Die Reflexion des eigenen Tuns ist weniger institutionalisiert als in Großbetrieben (in Form von Beratung, Strategieentwicklung etc.), wodurch das Abwägen von Zweck und Mittel bei wichtigen Entscheidungen ungenügend ist.

Jedoch haben KMU auch Vorteile in Bezug auf die Wissenssicherung:

  • Der Betrieb ist überschaubar
  • Der Informationsaustausch ist häufig zügiger aufgrund direkter, oft informeller Kommunikationswege und persönlicher Kontakte
  • Oftmals gibt es eine starke Tradition der Wissensweitergabe, z.B. in Handwerksbetrieben.

Die Sicherung des impliziten Mitarbeiterwissens ist entscheidend für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit von KMU. Daher ist es von großer Bedeutung, das implizite Wissen bewusst zu machen und so weiterzugeben, so dass es von möglichst vielen Beschäftigten genutzt werden kann und im Unternehmen erhalten bleibt.

 

Literaturhinweise:

  • Hurley, T. A.; Green, C. W. (2005): Knowledge Management and 1he Nonprofit Industry. A Within and Between Approach. in: Journal of Knowledge Management Practice.
  • Jones, K.; Leonard, L. N.K. (2009): From tacit knowledge to organizational knowledge for successful KM. In King, W.R. (Hrsg.): Knowledge Management and Organizational Learning. Vol. 4, S. 27-39. Berlin: Springer.
  • KPMG (2001): Bedeutung und Entwicklung des multimediabasierten Wissensmanagements in der mittelständischen Wirtschaft. Schlussbericht Projekt-Nummer 41/00. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
  • Wah, L. (1999): Can knowledge be measured? In: Management Review, Vol. 88, Mai, 1999.